San Martino Alfieri ist ein Mini-Kaff im Astigiano. Aktuell hat es 718 Einwohner, halb so viele wie noch Anfang des 20. Jahrhunderts. Und wäre da nicht das gewaltige Anwesen der Alfieris – das Dorf würde es vielleicht nicht mehr geben.
In San Martino dreht sich alles um die Alfieris. Das alte Schloss beherrscht das Dorfbild. Der Name des Adelsgeschlechts dominiert die Geschichte des Dorfes. Ja, in ganz Italien haben die Alfieris eine Rolle gespielt. Da war Cesare Alfieri, ein Architekt, Dichter und Senatspräsident, der eine wichtige Rolle in der Liberalisierung der Monarchie Mitte des 19. Jahrhunderts spielte. Eine Heirat mit einer Cavour stärkte die Macht der Alfieris zusätzlich. Das Schloss in Grinzane Cavour war auch im Familienbesitz, bis es der Gemeinde vermacht wurde.
Auf Augenhöhe mit Braida und Coppo
Heute ist die Anlage in San Martino, die 1696 von einem Schloss in eine feudale Barock-Residenz umgewandelt wurde, im Besitz der drei Schwestern San Martino di San Germano. Sie verwalten das Gut mit mehreren Gästezimmern und der Weinkellerei, leben aber nicht permanent dort. Die Kellerei, die erstmals im 14. Jahrhundert erwähnt wurde, hat sich dem Barbera verschrieben. Mit Leib und Seele. Seit zwanzig Jahren stehen die Weine für absolute Topklasse. Mittlerweile werden sie im gleichen Atemzug genannt wie Braida (Bricco dell’Uccellone) und Coppo (Pomorosso).
„Doch auch der Pinot Nero zählt seit jeher zum Portfolio der Alfieris“, erzählt Önologe Mario Olivero. „Blauburgunder ist nicht typisch für das Piemont, aber für unser Gut.“ Aber die Nummer eins heisst ganz klar Barbera. 75 Prozent der 21 Hektare sind damit bepflanzt. Sie finden in San Martino ein perfektes Mikroklima vor.
Gas geben mit Mario
„Die Barbera-Traube neigt dazu, schnell zu wachsen und grosse Trauben zu produzieren. Also nicht das, was wir anstreben. Zusammen mit den alten Reben, die teils über 50 Jahre sind, haben wir ein exzellentes Gleichgewicht geschaffen“, sagt Mario. „Und wir haben das perfekte Terrain für Barbera.“ In seinem alten Audi fährt er uns durch die Rebanlagen. Teils ist es so steil und eng, dass ein Fortkommen kaum möglich scheint. Wir runzeln die Stirn. Mario gibt Gas.
„Die ältesten stammen aus dem Jahre 1937“, sagt Mario. „Nach und nach werden sie ersetzt. Zehn bis fünfzehn Prozent alle fünf Jahre.“
Es sind Zahlen, die typisch sind für dieses Gut. Mit jedem Schritt, den man dort macht, atmet man Geschichte pur. Sie findet sich auch in den Weinen wieder. Der Basis-Barbera zum Beispiel heisst „La Tota“. Warum? Mario hat die Story: „Die letzte Alfieri war nicht verheiratet. Solche Junggesellinnen nannte man im 19. Jahrhundert hier ‚Tota’, was so viel wie Magd bedeutet.“
Bleibt eine letzte Frage: Wie geschichtsträchtig sind die Weine von Marchesi Alfieri? Um es kurz zu machen: Die Barbera – und zwar beide, also auch der sogenannte Basiswein La Tota! – gehören zum Besten, was diese Traube hergibt. Und sie haben ein gutes Alterungspotenzial, was die Verkostung des 2004ers eindrücklich aufzeigt. Für einen Barbera ist ein wunderbar gereifter Jahrgang der Ritterschlag. Denn die Traube ist nicht dafür prädestiniert, alt zu werden Der Blauburgunder hingegen mag wohl einiges an Historie beinhalten und mit viel Hingabe vinifiziert werden. Aber auch er ist nur ein weiterer Beleg dafür: Das Piemont ist nicht Pinot-Noir-Land.